Der Wert von Gemeinschaft
Wissenschaftliche Literatur bestätigt, wie tief das »Bedürfnis« nach Gemeinschaft im Menschen verankert ist. Z.B. konnten Studien zeigen, dass bei Einsamkeit ähnliche Gehirnregionen aktiv sind wie beim körperlichem Hungergefühl (Inagaki et al. 2016). So basal verbunden ist also das »Grundbedürfnis« nach Gemeinschaft mit anderen Menschen in uns. Der Einfluss von sozialer Einbindung und von heilsamen Aspekten der Gemeinschaft auf die Gesundheit ist empirisch umfassend belegt. „Seit den späten 1940er-Jahren liegen entsprechende Studien vor (Wenger et al. 1996) und jährlich kommen neue hinzu“ (Hafen 2018, S. 37).
So stärkt soziale Unterstützung und Einbettung nachweislich das Immunsystem und reduziert damit das Auftreten von Entzündungen. Der Mensch in Gemeinschaft hat also eine messbare stärkere Widerstandskraft gegen Belastungen und Krankheiten (Uchino 2006). Als Beispiel: In einem klinischen Experiment mit isolierten Menschen (d.h. in Quarantäne) konnte gezeigt werden, dass Personen, die eine gute soziale Einbindung hatten, ca. halb so anfällig waren für virale Erkältungskrankheiten (Cohen 1997). Außerdem hatten Menschen mit tragenden Sozialkontakten eine messbar bessere Wundheilung als die ohne (Herrera-Badilla et al. 2015).
Eine gute Bindung in der Kindheit hat lebenslang positive Auswirkungen. In einer der am längsten dauernden Studie, die je durchgeführt wurde, sind in Neuseeland Menschen von der Geburt bis zu ihrem 26. Lebensalter regelmäßig untersucht worden. Das Ergebnis: Kinder, die im Alter von 5-9 Jahren eine gute soziale Einbindung erlebten, hatten statistisch gesehen im Alter von 26 Jahren ein um 37% geringeres Risiko eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zu entwickeln, unabhängig von anderen Risikofaktoren wie Stress, Armut, Übergewicht, geringerer IQ, Nikotinsucht usw. (Caspi et al. 2006). Außerdem konnte diese Studie zeigen, dass diese Menschen einen signifikant niedrigen Kortisol-Spiegel im Erwachsenenalter bei der Untersuchung hatten. (Die Kontrollgruppe hatte einen dauerhaft erhöhten, schädlichen Kortisol-Spiegel, was ein Zeichen von »Dauerstress« ist.)
Wie wichtig eine verlässliche Gemeinschaft schon bei Kleinkindern ist, belegt mittlerweile auch die Epigenetik (Lehre der Genaktivierung). Forschungen konnten zeigen, dass emotionale Zuwendung in der frühen Kindheit die spätere Stress-Resilienz beeinflusst. Durch verlässliche Sozialkontakte wird im Laufe des ersten Lebensjahres sozusagen ein Antistress-Gen »freigeschaltet«, das dann zeitlebens das Stress-Gen »in Schach hält« bzw. reguliert. Man könnte auch sagen, dass z.B. jede Mutter, die im ersten Lebensjahr in die Zuwendung und Gemeinschaft mit ihrem Kind investiert, damit auch gleichzeitig in die nachhaltige, lebenslange Stress-Resilienz des Kindes investiert (Bauer 2014).
In einer großen Übersichtsarbeit (Metaanalyse) von Pinquart & Duberstein (2010) wurden 87 Studien zum Thema soziale Vernetzung und Krebs zusammengefasst und ausgewertet. Dabei zeigte sich ein um 25% vermindertes Risiko, an Krebs zu sterben, wenn soziale Unterstützung erlebt wurde. In eine Gemeinschaft eingebettet zu sein und soziale Unterstützung zu haben, steigert die Überlebenschance bei Krebspatienten demnach signifikant, denn die Werte zeigten einen robusten Zusammenhang, auch unter statistischem Ausschluss anderer Faktoren.
Sozial eingebettete Menschen erleiden seltener Herzinfarkte und Schlaganfälle als Personen, die sozial isoliert sind (Valtorta et al. 2016). In der größten Längsschnittstudie ihrer Art wurden die Daten von 479.054 Probanden (im Alter von 40 - 69 Jahren) der britischen Biobank Studie unter diesem Aspekt ausgewertet. Neben allgemeinen Faktoren (Bildung, Einkommen, Lebensstil usw.) wurde hier ebenfalls der Grad der sozialen Integration ermittelt. Der Gesundheitszustand der Probanden wurde im Schnitt über sieben Jahre beobachtet, wobei auch körperliche Werte (Gewicht, Größe, Blutwerte) berücksichtigt wurden. Die Forscher fanden folgenden Zusammenhang: Bei Patienten, die über viele soziale Kontakte verfügten (in Gemeinschaft eingebunden waren), sank das Sterberisiko nach einem Herzinfarkt um 25 % bzw. nach einem Schlaganfall um 32 % im Vergleich zu Patienten die sozial isoliert waren. Diese Ergebnisse kamen zustande, nachdem auch die klassischen Risikofaktoren »kontrolliert« (mittels statistischer Verfahren sozusagen »herausgerechnet«) wurden. In eine Gemeinschaft sozial eingebunden zu sein hat also nachweislich einen »heilsamen« Effekt (Hakulinen et al. 2018).
Die gesundheitsfördernden Auswirkungen von Gemeinschaft und Beziehung wurden in Studien also vielfältig belegt (Beziehung hier als Teilelement von Gemeinschaft verstanden). Zentral ist dabei die verlässliche Präsenz und der wertschätzende Umgang von Menschen, auf die man sich stützen kann (vgl. Hüther 2018). Sozialer Rückhalt, der durch solche Beziehungen erfahren wird, steigert das Wohlergehen. Wie tief dieser Mechanismus in der Schöpfung verankert ist, zeigt sich auch an einem plastischen Beispiel aus der Tierwelt: Ein Äffchen wurde in einen Käfig gesperrt, und um den Käfig lief ein kläffender Hund. Natürlich hatte der Affe deswegen große Angst. Diese Angst ließ sich auch durch einen sehr hohen Stresshormonspiegel nachweisen. Dann holte man ein zweites Äffchen aus derselben Kolonie und setzte ihn zu dem ersten in den Käfig. Und siehe da, zu zweit zeigten die Affen keinerlei Stressreaktion mehr, obwohl der Hund immer noch bellend um den Käfig rannte. Nahm man dagegen einen fremden Affen aus einer anderen Affen-Gemeinschaft und steckte ihn in den Käfig, so stellte sich keinerlei Beruhigung ein. Nur mit dem vertrauten Äffchen aus derselben »Gemeinschaft« fühlten sie sich sicher und wurden ruhig (Hüther 2014). Auch bei Menschen konnten ähnliche Mechanismen beobachtet werden. In einem fingierten Vorstellungsgespräch (via Trierer Stresstest) wurden Teilnehmer unter Druck gesetzt und ihr Stress bzw. der Kortisol Level gemessen. Probanden mit vielen Sozialkontakten (Anzahl der Menschen, die als sehr hilfreich für das eigene Leben eigestuft wurden) hatten dabei signifikant weniger Kortisol ausgeschüttet (Eisenberger et al. 2007).
Insgesamt ist aus der soziologischen und psychologischen Literatur zum subjektiven Wohlbefinden schon seit geraumer Zeit bekannt, dass soziale Einbindung einen erheblichen Einfluss auf das Glücksempfinden hat. In der Literatur wird das Bedürfnis nach sozialer Integration und positiver Anerkennung durch das persönliche Umfeld - genau wie Gesundheit, Sicherheit oder einen materiellen Mindeststandard - schon lange zu den sogenannten Primärgütern gezählt: Sie sind für das individuelle Wohlbefinden unverzichtbar, weil aus ihnen überhaupt erst die Möglichkeit erwächst, sich selbst zu entwickeln und zu verwirklichen. Auch nach der Bedürfnispyramide von Maslow gehört Gemeinschaft, Kontakt usw. zu den Grundbedürfnissen des Menschen (Maslow 2018).
So lässt sich im Angesicht dieser ganzen Befunde sagen: „Nichts ist also gesünder im Sinne der Verlängerung des eigenen Lebens als die aktive Teilnahme an der Gemeinschaft mit anderen Menschen“ (Spitzer 2018, S. 164).